Camino Portugues Etappe 9: Hallo „HelloWorld-Spirit“

Zwischenzeitlich haben wir es bis nach Arcade, dem Ausgangspunkt unserer neunten Camino Portugues Etappe geschafft. Jetzt führt uns der Jakobsweg über die Variante Espiritual bis nach Armenteira. In ein paar Stunden werden wir Santiago de Compostela wieder ein Stückchen näher sein.

Speed-Dating bei der Camino Portugues Etappe zwischen Arcade und Armenteira

Nach einem ausgiebigen Frühstück laufen wir gegen 8.30 Uhr die Hauptstraße entlang stadtauswärts und schnell wird klar, dass sich etwas verändert hat. Erste untrügliche Anzeichen dafür, dass wir uns mittlerweile auf einem stärker frequentierten Streckenabschnitt als bislang bewegen, gab es bereits gestern in Form von Muschelwänden und unzähligen Wegweisern. Heute sehen wir beim Gang durch Arcade erstmals Pilger in Scharen: alleine unterwegs, mit Partner, mit Kindern, in größeren Gruppen…

Im Vergleich zu den vorherigen Etappen geht es hier zu wie im Taubenschlag. Immer wieder hallt die Begrüßung „Buen Camino“ über die Straße und wie bei einem Speed-Dating lernen wir Vorbeiziehende kurz kennen. Wo kommst Du her? Wo gehst Du heute hin? Wo übernachtest Du? Ein paar kurze freundliche Worte gewechselt, dann ist die Begegnung auch schon vorüber.

Die Strecke selbst ist schön, etwas hügelig, aber gut zu bewältigen. Wir wandern durch kleine Dörfer und bleiben das ein oder andere Mal stehen, um uns umzusehen und die Überreste ehemaliger steinerner „Kornspeicher“ zu betrachten. Diese auf Säulen stehenden Hórreos wurden traditionell für die Lagerung von Feldfrüchten wie zum Beispiel Mais genutzt und säumen in dieser Gegend bis heute die Straßen.

Das Bild zeigt Überreste eines noch gut erhaltenen steinernen Kornspeichers, auch Hórreo genannt, der auf Säulen am Rand des Caminho Portugues steht.
Auf dem Weg nach Armenteira kommt man immer wieder an den landestypischen Hórreos vorbei.

Auf einem kleinen angelegten Rastplatz gönnen wir uns eine Pause und treffen auf zwei Pilger, die wir schon unterwegs kurz gesehen hatten. Tom aus Israel und Margy aus Australien. Sie setzen sich zu uns und wir stellen uns gegenseitig vor. Es macht richtig Spaß mit den beiden zu sprechen. Margy mit ihrer quirligen Art ist im Marketing tätig, Tom, ein wenig ruhiger, kommt aus der Outdoor-Branche. Beide sind hoch sympathisch, das Zusammensein mit ihnen ist total unkompliziert und lustig.

Entspannungswunder „Wonderball“

Irgendwann fällt Nico auf, dass Tom immer wieder seinen Schulter-Nackenbereich bewegt und spricht ihn darauf an, ob er Verspannungen hat. Als Tom bejaht, bietet ihm Nico unsere „Wonderballs“ an und erklärt, was es damit auf sich hat: Es handelt es sich um zwei kleine harte Gummibälle, die Andrea normalerweise beim Pilatestraining nutzt. (An dieser Stelle übrigens herzlichen Dank an Linda vom Powerhouse Karlsruhe für die tolle körperliche Vorbereitung auf diese Camino Portugues-Tour.) Sie funktionieren im Prinzip ganz einfach, aber wirkungsvoll. Man lege sich dort wo der Schmerz sitzt auf die Bälle und verweilt an dieser Stelle so lange, bis sich der Punkt lockert. Mitunter dauert dies ein paar Minuten, dann rollt man ein paar Zentimeter weiter zum nächsten Schmerzpunkt und wartet wieder einen Moment. Mehrfach wiederholt, lässt mit der Zeit der Spannungsschmerz merklich nach.

Nico und Margy stehen lachend neben Tom, der auf einem steinernen Tisch am Wegrand des Caminho Portugues liegt und mit Gummibällen unterm Rücken Verspannungen wegrollt.
Mit „Wonderballs“ gegen Muskelverspannungen: Es ist schön, wenn der Schmerz nachlässt.

Tom schaut nach dieser Erläuterung eher kritisch in die Runde, was Nico verstehen kann. Er war auch mehr als skeptisch, als Andrea ihm das erste Mal darüber berichtete. Aber nachdem er es selbst getestet hatte, musste er zugeben, dass die Wirkung tatsächlich enorm ist. Obwohl noch nicht gänzlich überzeugt, lässt sich Tom schließlich dazu überreden es zumindest auszuprobieren. Schlimmer kann es ja nicht werden. Kurze Zeit später liegt er also auf dem Tisch, die Bälle zwischen ihm und der Steinplatte in Höhe des Schulterbereichs. Es dauert nicht lange, dann passiert genau das, was wir erwartet hatten. Trotz Schmerzen beginnt Tom zufrieden zu grinsen. Eine Reaktion, die jeder nachvollziehen kann, der das Gefühl kennt, den vollen Schmerz durch den Druck der Bälle zu fühlen, aber gleichzeitig erleichtert zu spüren, wie sich die Verspannung unter diesem Druck langsam auflöst.

Wir freuen uns, dass wir mit den „Wonderballs“ ein wenig zu Toms Muskelentspannung beitragen konnten und unterhalten uns noch ein wenig, während Margy eine Runde Nüsse für die Energiezufuhr und für Andrea einen Streifen Tape zur Blasenprävention spendiert. Mit Blick auf die Uhr – wir haben zwischenzeitlich über eine Stunde Rast gemacht – müssen wir uns dann jedoch leider verabschieden. Langsam packen wir unsere Sachen und brechen auf.

Camino Portugues Etappe 9 von Arcade nach Armenteira . Impressionen

Die letzte Stunde liefert uns hervorragenden Gesprächsstoff für den weiteren Weg. Angeregt diskutieren wir über die Möglichkeiten eines mobilen Entspannungsservices am Wegrand des Camino Portugues. Das ist doch eine prima Geschäftsidee und vor unserem geistigen Auge stellen wir auch schon einmal das Leistungsangebot zusammen, bis wir uns lachend anschauen: Gewisse (Denk-)Reflexe, die man sich jahrelang antrainiert hat, kann man sich offensichtlich nur schwer abgewöhnen…

Kommerz auf der Camino Portugues Etappe von Arcade nach Armenteira

Apropos Geschäftsidee. Mit der Pilgeranzahl nimmt Richtung Pontevedra auch die Kommerzialisierung merklich zu. Wir treffen auf Pablo den Sänger, der auf seiner Gitarre Lieder spielt – unter uns gesagt: hitverdächtig klingt anders – und seine Musik-CDs und Wasserflaschen vorbeikommenden Pilgern gegen eine Spende anbietet.

Auf der 9. Caminho Portugues-Etappe treffen wir Pablo. Er sitzt auf einem Stuhl und spielt Gitarre. Vor ihm ein Tisch mit Musik-CDs und Wasserflaschen, die er verkauft.
Kommerz oder Kultur? Am Waldrand treffen wir den gitarrenspielenden Pablo, der seine Musik-CDs verkauft.

Andere wiederum haben ihre Stände mit Armbändchen und sonstigem teilweise wirklich kitschigen „Klimbim“ aufgeschlagen und – das ist der Gipfel –  ein Café wirbt „Ballermann-like“ mit Plakaten, auf denen uns die Worte „Getränke, Obst, Stärkung, kleine Häppchen“ auf Deutsch entgegen schreien. Fehlt nur noch das Schnitzel mit Pommes auf der Speisekarte…

Mit der Pilgeranzahl nimmt die Kommerzialisierung auf dem Camino Portugues spürbar zu.

Für unseren persönlichen Geschmack ist diese Präsentation eher störend als einladend und so beschließen wir weiter zu laufen und nach etwas landestypischeren für ein Vesper Ausschau zu halten.

Kurz vor dem Ortseingang von Pontevedra kehren wir in einer kleinen Bar ein, in der viele Spanier gerade Mittagspause machen. Wir sitzen noch keine fünf Minuten, als Tom und Margy in der Tür auftauchen. Was für eine schöne Überraschung, die beiden nochmals wieder zu sehen und wir winken sie an unseren Tisch.

Während wir uns über die gegenseitigen Erwartungen an die kommenden Tage austauschen, macht uns Margy plötzlich unvermittelt ein Angebot: Ihre Reise führt sie von Santiago aus für zwei Wochen nach Tel Aviv und wir sollen doch einfach mitkommen. Wow! Soeben passiert tatsächlich das, was wir uns im Kern von unserem „HelloWorld“-Projekt erhoffen: Wir sagen „Hallo“ zur Welt und die Welt sagt „Hallo“ zu uns. Wie bei einem Perpetuum mobile ergibt sich ein Ereignis ganz natürlich aus dem anderen, ohne dass es ständig eines neuen Anstoßes bedarf. Immer mehr resultiert das, was als nächstes geschieht aus dem „Unterwegs-sein“ selbst und aus den Begegnungen mit Menschen, die mit uns auf gleicher Wellenlänge sind. So wird man automatisch in die Welt da draußen hineingezogen und erstmals spüren wir mit Haut und Haaren, wie sich unser ganz persönlicher „HelloWorld-Spirit“ anfühlen kann.


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Kurz schwelgen wir in der Vorstellung, Margy und Tom nach Tel Aviv zu begleiten. Das wäre jetzt wirklich toll. Aber schweren Herzens müssen wir uns dann doch eingestehen, dass zu Hause ein paar geschäftliche Verpflichtungen auf uns warten, die wir nicht rausschieben können. Wirklich schade. Aber vielleicht ergibt sich die Gelegenheit eines Tages wieder. Den sozialen Netzwerken sei Dank, beschließen wir zumindest lose den Kontakt zu halten und verabschieden uns dann endgültig voneinander. Für die meisten Pilger – und so auch für Tom und Margy – ist Pontevedra nämlich das Ziel der heutigen Camino Portugues Etappe und sie werden hier nächtigen. Vor uns liegen jedoch noch rund 20 Kilometer und so ziehen wir weiter, noch lange beseelt von diesem wunderbaren Zusammentreffen.

Die sportliche Seite des Camino Portugues

Nachdem wir die Brücke Ponte da Barca überquert und Poio hinter uns gelassen haben, bewegen wir uns jetzt auf der Variante Espiritual. Hier wird es sportlich. Längst sind die langen, flach verlaufenen Küstenwege in Vergessenheit geraten. Nunmehr geht es mit einer bis zu 25%igen Steigung bergauf und bergab.

Auf der Caminho Portugues Variante Espiritual sieht man mitten im Wald diesen Wegweiser, der die Entfernung zu Santiago de Compostela mit 85 Kilometern anzeigt.
Langsam nähern wir uns dem Ziel. Nur noch 85 Kilometer den Camino Portugues entlang, dann sind wir in Santiago de Compostela.

Das ist angesichts des nicht zu vernachlässigenden Gewichts auf dem Rücken wirklich nicht ohne. Vielleicht ist dies auch der Grund, dass auf diesem Abschnitt des Camino Portugues der Pilgerverkehr spürbar nachlässt oder um es konkreter zu sagen: weit und breit keine Menschenseele zu sehen ist. Bald haben wir jede Zivilisation hinter uns gelassen und 85 Kilometer vor Santiago de Compostela sind wir nur noch von Natur umgeben.

Was auf der einen Seite schön ist, hat natürlich auch Nachteile. Insgesamt gehen wir rund vier Stunden, ohne eine Möglichkeit, sich mit Getränkenachschub zu versorgen. Eine Netzverbindung gibt es hier übrigens auch nicht mehr und so geht uns kurz durch den Kopf, wie wir wohl Hilfe verständigen würden, falls ein Notfall aufträte. Aber Gott sei Dank überstehen wir unbeschadet die schweißtreibende Etappe und sehen irgendwann aus der Ferne das Monasterio de Armenteira. Alt ehrwürdig und anmutig ragt das Ziel unserer heutigen Camino Portugues Etappe zwischen Bäumen heraus und wir freuen uns darauf hinter die dicken Mauern zu blicken und unser Nachtquartier aufzuschlagen.

Kurz vor dem Ziel treffen wir dann doch noch auf eine „Mitpilgerin“: Gefühlte zwei Meter groß kommt Katarina aus Russland auf uns zu, mit atemberaubender Lässigkeit und wippendem Gang als würde sie einen Catwalk entlang laufen und nicht mit Rucksack bepackt den Hügel hinunter. Auch sie ist auf der Suche nach der Herberge und schließt sich uns an.

Das Bild zeigt das Ziel unserer neunten von zwölf Caminho Portugues-Etappen: Den großen Vorplatz des Mosteiro de Armenteira, in der Mitte ein Kreuz, gesäumt von Bäumen.
Das Mosteiro de Armenteira – Ziel unserer neunten Camino Portugues Etappe, die in Arcade startete.

Unser aller Vorfreude auf die erwartete Unterkunft wird prompt abgebremst, als wir auf dem Vorplatz des Monasterio nach dem Eingang fragen. Nein, wir müssen weiter, rund 10 Minuten zu Fuß zu einer Turnhalle, in der wir nächtigen können

Abendlicher Ausklang in bunter Runde

Enttäuscht drehen wir dem Kloster den Rücken zu und laufen weiter. Kurz darauf stehen wir vor der „Albergue De Peregrinos Armenteira“ – und vor verschlossenen Türen. Niemand ist zu sehen, wir klopfen, nichts rührt sich. Nach einer Weile fällt uns auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Mann auf, der uns auf Nachfrage mitteilt, dass an der Türe eine Telefonnummer stehen würde, die wir anrufen müssen. Wir greifen zum Handy – hier gibt es wieder Empfang –, rufen an und erhalten die Information, dass in 10 Minuten jemand kommen und uns aufschließen würde.

Die „spanischen 10 Minuten“ dauern über eine Stunde, dann können wir endlich eintreten. Drinnen angekommen, erkennen wir schnell, dass die Herberge nicht gerade überlaufen ist. Lediglich zwei Betten sind bezogen, der Rest unbenutzt. Wir breiten unsere Sachen aus und machen uns frisch, bevor wir uns an den Tisch setzen, um die spärlichen Reste unseres Proviants zu essen, da wir beschlossen haben, uns heute nicht mehr von der Stelle zu rühren. Gerade die Strecke von Pontevedra nach Armenteira mit ihren Aufs und Abs ist ganz schön in die Knochen gegangen. Davon scheint Katarina jedoch nichts zu spüren und macht sich auf den Weg zu einer Bar.


LESETIPP:  Du planst Deine eigene Reise auf dem portugiesischen Jakobsweg und suchst nach nützlichen Informationen? Im Beitrag „Camino Portugues: alle Infos für Deine Vorbereitung“ findest Du übersichtlich und kompakt alles Wichtige zusammengefasst.


Alleine zurückgeblieben beginnen wir mit unserem täglichen Check und lassen die Begegnung mit Margy und Tom Revue passieren, bis schließlich nacheinander Katarina und die beiden anderen Übernachtungsgäste auftauchen: Kerri aus Sacramento und Anton, der wie Katarina aus Russland kommt und in Moskau wohnt.

So bunt wie die Runde, die sich an diesem Abend hier am Tisch versammelt, so bunt sind die Themen, über die wir sprechen. Kerri ist so, wie man sich gemeinhin im positivsten Sinne eine typische Amerikanerin vorstellt: Erfrischend unterhaltsam, mit moderner Bloggertechnik ausgestattet, erzählt sie von den Stories, die sie für Daheimgebliebene niederschreibt und berichtet von ihrer Zeit, als sie im vergangenen Jahr ehrenamtlich in einer Herberge auf dem Camino gearbeitet hat. Anton ist ausgebildeter Ingenieur, seine wirkliche Leidenschaft gehört jedoch dem Ballett und er hat ein besonderes Fable für die Fotografie. Katarina, das „Küken“ unter uns, hat sich aufgemacht die Welt zu erkunden. Nach der Pilgerreise wird es für sie weiter nach Frankreich zum Surfen gehen. Ein Wort gibt das andere und so vergeht die Zeit wie im Fluge, bis langsam einer nach dem anderen zu Bett geht. Schön war’s. Und es sollte nicht die letzte Etappe sein, auf der wir uns in dieser Runde auf dem Camino Portugues begegnet sind …

>> Und so geht es weiter: Camino Portugues Etappe 10: Eine kleine Reise durch das Mittelalter

>> Was bisher geschah: Camino Portugues Etappe 8: Begegnung mit Josefa

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