Camino Portugues Etappe 2: Die „Engel vom Camino“

Es ist fünf Uhr als der Wecker unsere zweite Camino Portugues Etappe von Angeiras nach Fao einläutet. Raus aus dem Bett, fertigmachen, die sieben Sachen zurück in den Rucksack, noch kurz einen Elektrolytdrink für den Mineralstoffhaushalt, das GPS-Gerät einschalten und schon geht es los. Das heutige Ziel ist Fao und circa 30 Kilometer entfernt. Nicht gerade ein kurzer Spaziergang, aber unser frühmorgendlicher Optimismus sagt uns „kein Problem“. Eine Einschätzung, die uns bald einholen sollte…

Wir verlassen die Campingplatzanlage bei kühlen 11 Grad und laufen durch das noch schlafende Lavra. An der Küste angekommen, setzen wir unseren Jakobsweg dort fort, wo wir gestern aufgehört hatten. Mit den Stirnlampen auf dem Kopf bewegen wir uns Meter für Meter in der Dunkelheit vorwärts. Keine Menschenseele begegnet uns. Man hört nur das Rauschen der Wellen eines aufgewühlten Atlantiks. Irgendwie unwirklich. Langsam wird die Nacht von der aufgehenden Sonne abgelöst. Mit einer unsagbar kitschig anmutenden Postkartenatmosphäre kündigt sich der Tag an. Das frühe Aufstehen hat sich wirklich gelohnt.

Ein irres Gefühl: Im Stockdunkeln am Strand entlang.
Ganz alleine im Dunkeln am Meer: Eine unbeschreibliche Atmosphäre.

Noch ganz gefangen von der morgendlichen Stimmung und hoch motiviert wandern wir viele Stunden an Vila do Conde vorbei weiter über Pavoa Varzim bis zum Strand von Santo Andre. Zwischenzeitlich ist es Mittag. Fast 20 Kilometer dieser Camino Portugues Etappe haben wir schon geschafft und uns jetzt eine Vesperpause mehr als verdient. Am Strand sitzend überkommt uns ein wundersames Gefühl von Freiheit. So also kann sich das „Unterwegs-Sein“ anfühlen: einfach vor sich hingehen, ohne den Blick auf die Uhr, ohne Termindruck, nur das „hier und jetzt“ auf sich wirken lassen. Einfach perfekt. Doch wie heißt es so schön, „man soll den Tag nicht vor dem Abend loben“…

Laut unserer Karte liegen noch gut 12 Kilometer bis Fao vor uns. Für kurze Zeit gehen wir noch direkt am Meer entlang, bis der Weg ländlicher wird und durch kleine Dörfer und Anbauflächen führt. Rio Alto erreichen wir über Asphaltstraßen, Schotter und Kopfsteinpflaster. Gemüselaster rasen an uns vorbei, es ist staubig. Die Atlantik-Romantik ist für heute endgültig vorbei.

Das Bild von der zweiten Camino Portugues Etappe zeigt eine Windmühle vor wolkigem Himmel.
Die zweite Camino Portugues Etappe führt auch durch ländliches Gebiet.

Die Füße beginnen zu schmerzen, immer häufiger bleiben wir stehen. Andrea hat trotz Tape erste Blasen. OK, da kümmern wir uns heute Abend drum. Jetzt erst einmal weiter. Bald folgt die nächste Pause. Am Wegrand stehend werden wir von einem jungen Pärchen überholt. Wir unterhalten uns kurz und erfahren, dass die beiden vor rund zwei Wochen in Lissabon gestartet sind und sie wie wir auch Fao als Ziel haben. Man sieht sich ja dann gleich, sagen sie. Gleich ist gut, es sind doch noch 10 Kilometer. Ob die beiden denn gar nichts von der bisherigen Anstrengung merken? Nein. Von dem einen oder anderen Belastungsanzeichen sollen wir uns nicht irritieren lassen, das sei auf den ersten Camino Portugues Etappen ganz normal. Vier, vielleicht fünf Tage, dann hat sich der Körper daran gewöhnt, erklären sie uns noch, bevor sie leichtfüßig von dannen ziehen. Auch wir machen uns wieder startklar.

10 Kilometer! Wenn wir uns in der Geschwindigkeit fortbewegen wie bisher, bedeutet dies noch mehr als drei Stunden Gehzeit. Wir wollen ja nicht jammern, aber es ist schon heftig und auch an Nico geht diese Etappe nicht mehr spurlos vorbei. Wir fragen uns, weshalb auf dieser ebenen, einfachen Strecke unser Durchhaltevermögen stärker auf die Probe gestellt wird, als bei unseren zahlreichen Mittelgebirgstouren. Bislang sind wir noch nie an unsere Grenzen gestoßen. Warum also hier? Sollte das zusätzliche Gewicht auf dem Rücken uns wortwörtlich in die Knie zwingen? Darüber denken wir später nach. Für den Moment kämpfen wir weiter.

Irgendwann sehen wir die ersten Häuser von Fao. Wir haben es fast geschafft. Fast…

Mit unseren Kräften schon ziemlich am Ende treffen wir am Straßenrand zwei Portugiesinnen, die wir nach dem Weg zu unserem Nachtquartier, dem „HI Ofir Youth Hostel“ fragen. Zunächst folgen wir ihren Beschreibungen: Ein Stückchen weiter des Weges bis zur Nationalstraße, dann links Richtung Ortsmitte, bis zum Fluss, circa zwei Kilometer. Dann die ersten Zweifel. Müssten wir das Ziel nicht längst erreicht haben? Erneut fragen wir nach dem Weg. Nein, das ist die falsche Richtung, wir müssen zurück, auf der Hälfte des Weges dann nach links, noch ZWEI KILOMETER. Die Motivation lässt merklich nach. Jetzt nur nicht schlapp machen, sicher stehen wir bald vor unserem Ziel. Eine glatte Fehleinschätzung. Nochmals fragen, wieder eine andere Richtungsangabe und die Information: noch ZWEI KILOMETER. Bei diesem Punkt sind sich zumindest alle Portugiesen einig…


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Langsam haben wir die Nase voll. Noch ein Versuch. Zwei Herren stehen vor einem Restaurant. Auch sie kennen das Hostel nicht, sehen uns die Erschöpfung aber offensichtlich an und werden aktiv. Einer der beiden zückt sein Handy, ruft direkt bei der Herberge an und erläutert uns den Weg. Wir müssen alles nochmals zurücklaufen fast bis zu dem Punkt, an dem wir vor gut 90 Minuten die Nationalstraße betreten hatten. Es seien rund ZWEI KILOMETER!

Es ist unglaublich, wie endlos diese im Prinzip kurze Strecke erscheint, wenn man die Schmerzgrenze erreicht, oder besser überschritten hat. Alles tut weh. Der Körper fühlt sich an wie Blei. Wir haben keine Energie mehr, die Batterie ist mehr als leer. Stumm laufen wir nebeneinander her.

Plötzlich hupt es hinter uns. Ein Auto hält. Die zwei Portugiesinnen, denen wir am Anfang von Fao begegnet sind, fahren neben uns und geben uns zu verstehen, dass wir einsteigen sollen. Sie wollen uns zu unserer Unterkunft fahren und hatten schon ein schlechtes Gewissen, da sie uns irrtümlich in die falsche Richtung zum „Hospital de Fao“ geschickt hatten. Nun, da sie uns erneut hier auf der Straße sehen, wollen sie uns den Weg wenigstens die letzten paar hundert Meter leichter machen. Wir schauen uns ungläubig an und verstehen, auch wenn wir nicht gerade religiös motiviert unterwegs sind, plötzlich die Bedeutung eines Satzes, über den wir in den letzten Wochen so häufig gestolpert sind: „Der Weg gibt Dir, was Du brauchst“.

Abschiedsbild mit unseren ganz persönlichen "Engeln" von der Camino Portugues Etappe von Angeiras nach Fao.
Abschiedsbild mit unseren ganz persönlichen „Engeln“ von der Camino Portugues Etappe von Angeiras nach Fao.

In diesem Fall hat uns der Camino gerade noch rechtzeitig vor der Kapitulation unsere ganz persönlichen zwei Engel geschickt. Gerne nehmen wir das Angebot der beiden Frauen an. Wir lassen uns auf die weichen Rücksitze des schon in die Jahre gekommenen Autos sinken und fühlen uns wie die glücklichsten Menschen der Welt. Jetzt haben wir es geschafft.

Keine fünf Minuten später, nur ein paar Straßen weiter erreichen wir die Herberge. Auf der Hauswand steht mit dicken Lettern geschrieben „Pousada da Juventude Foz do Cavado“. Kein Wunder, dass niemand das von uns über booking.com gebuchte „HI Ofir Youth Hostel“ hier vermutete…

Wir steigen alle vier aus dem Auto und es beginnt eine sehr emotionale Verabschiedung, die sich nicht wirklich in Worte fassen lässt. Unser Gefühlschaos liegt irgendwo zwischen Erleichterung, Dankbarkeit, Glücksgefühl, Freude, Schmerz, innere Verbundenheit und vielen weiteren Empfindungen und treibt beim ein oder anderen durchaus ein Tränchen in die Augen.

Bald darauf begeben sich unsere „Engel vom Camino“ wieder auf den Rückweg. Noch ein kurzes Winken, dann verschwindet der Wagen in der Ausfahrt. Nun endlich betreten wir die innig ersehnte Herberge, checken ein und begeben uns zu unserem Zimmer. Es ist geräumig, sauber, mit eigenem Bad – ein kleines Trostpflaster für die „Anstrengungen“ der heutigen Camino Portugues Etappe.

Camino Portugues Etappe 2 von Angeiras nach Fao . Impressionen

Hinsetzen, Durchatmen, Duschen. Und jetzt gehen wir gemütlich was essen, vielleicht ein Gläschen Rotwein dazu. An der Rezeption fragen wir nach. Zu essen? Das gibt es hier nicht. Damit haben wir nicht gerechnet. Noch nicht einmal einen Schokoriegel, ein paar Kekse oder eine Chipstüte? Absolut nichts. OK, dann versorgen wir uns halt im Supermarkt oder suchen ein Restaurant. Die Empfangsdame zeigt uns anhand eines Lageplans, wo wir hingehen können. Wir fragen nach der Entfernung und ahnen die Antwort schon: Ungefähr ZWEI KILOMETER! Mit einem vermutlich etwas hysterischen Lachen lassen wir sie etwas irritiert zurück, gehen ins Zimmer und beschließen, heute hungrig ins Bett zu gehen.

Es ist 21 Uhr als wir einen Blick auf die Aufzeichnungen des GPS-Gerätes werfen: 34,8 Kilometer und 13,5 Stunden zeigt es an. Was für ein Tag! Obwohl wir hundemüde sind, machen wir noch unseren „Systemcheck“ und gehen die „Learnings“ durch:

Der persönliche „Systemcheck“:

  • Andrea: Blasen an beiden Füßen.
  • Nico: Rechtes Knie macht sich bemerkbar.
  • Beide: Das Rucksackgewicht – rund 11 kg bei Nico, 7 kg bei Andrea – fordert sein Tribut an Fußgelenke und -sohlen.

Die Learnings der zweiten Camino Portugues Etappe

  • Die teils unpräzisen oder gar fehlerhaften Darstellungen auf den Landkarten werden zukünftig durch den Einsatz von Google Maps abgesichert.
  • Die durchschnittliche Geschwindigkeit von drei Kilometer pro Stunde – abgesehen vom Irrlauf durch Fao – hat in etwa gepasst und wird als „Daumengröße“ beibehalten.
  • Morgen benutzen wir – auch auf ebener Strecke – Wanderstöcke, um die Last besser auf den ganzen Körper zu verteilen.
  • Ganz wichtig: Verpflegung, Verpflegung und nochmals Verpflegung. Nicht nur regelmäßige Pausen machen, sondern auch ohne Hungergefühl mehr auf die Energiezufuhr achten.
  • Da die Hauptsaison bereits zu Ende ist, möglichst bei Etappenstart bereits Verpflegung einkaufen.
  • Die Stirnlampe war in den Morgenstunden Gold wert und wird auf der Packliste belassen.
  • Vielleicht das nächste Mal leichte Handschuhe mitnehmen. Sie wären bei den heutigen Morgentemperaturen von Vorteil gewesen.

Das war’s für heute. Wir machen die Augen zu. Jeder lässt für sich alleine nochmals den Tag Revue passieren. Wie wird es wohl morgen bei der dritten Camino Portugues Etappe weitergehen?…

>> Und so geht es weiter: Camino Portugues Etappe 3: Die kleinen Dinge im Leben…

>> Was bisher geschah: Camino Portugues Etappe 1: von Porto nach Angeiras

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