Willkommen zur dritten Etappe auf dem Camino del Norte. 1.200 Kilometer und 60 Tage waren wir zu Fuß unterwegs entlang des spanischen Küstenwegs von Irun bis an das Kap Finisterre. Für alle Wanderer, Pilger und Backpacker, die diese wunderbare Tour nicht kennen – aber auch für diejenigen, die diesen Weg bereits genießen durften und nochmals in Erinnerungen schwelgen wollen – fassen wir hier auf HelloWorld unsere wichtigsten Erlebnisse in einer 7-teiligen Serie zusammen.
In Teil 1 und Teil 2 konnten uns alle Interessierten bereits auf dem Jakobsweg Camino del Norte von Irun über Bilbao bis nach Ribadesella begleiten – eine Strecke, die gut ein Drittel des gesamten Weges ausmacht.
Das nächste große Zwischenziel, das wir in 12 Tagen erreichen, heißt Ribadeo. Rund 240 Kilometer liegen bei dieser Camino del Norte Etappe vor uns, vollgepackt mit bleibenden Eindrücken, von denen wir heute einige im diesem Bericht vorstellen.
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Rund 240 Kilometer beträgt die dritte Camino del Norte Etappe von Ribadesella nach Ribadeo.
Natürlich gibt es dabei neben jeder Menge Lesestoff auch wieder zahlreiche Fotos und Videos, um unsere Begeisterung vom Unterwegssein an der spanischen Nordküste etwas „anschaulicher“ zu machen. Viel Spaß dabei!
LESETIPP: Die ganze Geschichte ist übrigens auch als eBook „Das Abenteuer Camino del Norte“ erschienen. Einfach kostenlos direkt im Shop herunterladen.Regen bei der dritten Camino del Norte Etappe
Es ist Tag 19 auf dem spanischen Küstenweg, als wir in Ribadesella starten. Nachdem es der Wettergott nun fast drei Wochen lang gut mit uns gemeint hat, zeigt er heute seine etwas dunklere Seite. In der vergangenen Nacht gab es bereits starke Regenfälle und heute überraschen uns den ganzen Tag über immer wieder kräftige Schauer und anhaltender Nieselregen. Spätestens jetzt sind wir wieder einmal so richtig froh darüber, eine ordentliche Regenkleidung im Gepäck zu haben.
Gut eingehüllt hat nämlich selbst schlechtes Wetter hier draußen auf dem Camino del Norte keine Chance, uns die Freude am Laufen zu nehmen. Im Gegenteil: Bei einer Außentemperatur von rund 18 Grad hat das sogar gerade seinen ganz besonderen Reiz.
Wenn es überhaupt einen Wehrmutstropfen bei dieser Camino del Norte Etappe gibt, dann höchstens dieser: Die meist sandigen Pfade sind sehr matschig und auf den teils abwärts führenden Wegen besteht akute Rutschgefahr. Da keiner von uns sonderlich daran interessiert ist, die Erfahrung von Andreas Sturz nochmals zu wiederholen, erinnern wir uns wieder an unser erstes Learning bei dieser Tour: „Respekt vor dem Weg“. Will heißen: Wir setzen bei der ein oder anderen Passage unsere Schritte wesentlich vorsichtiger als sonst. Ganz im Gegensatz zu einem Pilger, der uns unterwegs in zügigem Tempo überholt, um kurz darauf die Bekanntschaft mit dem nassen Boden zu machen. Wir eilen zu ihm hin. Er scheint ein wenig erschrocken, doch nach einem kurzen Check gibt er grünes Licht: Alles in Ordnung, es ist nichts passiert – und schon zieht er unverändert flotten Schrittes weiter. Na dann Bon Camino.
Typisch Asturien Teil 1 – Der „Sidra-Praxis-Workshop“
Angesichts des Regens verzichten wir auf Pausen und kommen relativ früh am Tagesziel La Isla an. Jetzt gilt es zu entscheiden, ob wir unsere Wegverpflegung auspacken, um unseren Hunger zu stillen oder später ein Restaurant aufsuchen. Wir entscheiden uns für letzteres und fragen in einer Bar nach einem urigen, spanischen Lokal, das regionale Küche bietet. Der Tipp, den wir erhalten, erweist sich als goldrichtig.
Das Restaurant, das wir am Abend betreten, ist so wie wir es lieben: Schlicht, ohne Chichi und neben Madeleine und Peter, ein Pilgerpaar aus der Schweiz, sind es vor allem Spanier, die sich hier zum Essen versammelt haben – ein gutes Zeichen!
Wir sind ein wenig zu früh dran und müssen uns noch etwas gedulden, aber bei der Aussicht auf Spareribs, ganz frisch vom Grill und nicht aus dem „Wärmomat“, nehmen wir das gerne in Kauf.
Zwischenzeitlich vertreiben wir uns die Zeit mit Gesprächen über den Tag, den Camino, die Welt und das Leben, bis etwas Nicos Aufmerksamkeit erweckt.
Am Nebentisch beobachtet er ein etwas seltsam anmutendes, in Asturien aber typisches Ritual: Die Bedienung hält eine Flasche in der einen, ein Glas in der anderen Hand. Soweit nichts Besonderes. Beides stellt sie jedoch nicht etwa auf den Tisch, sondern hält die Flasche mit ausgestrecktem Arm weit über ihren Kopf, das Glas unterhalb ihrer Hüfte, kippt die Flasche und schenkt in hohem Bogen den blassgelben Inhalt in das Glas ein. Längst nicht jeder Tropfen erreicht dabei sein Ziel, was aber niemanden zu stören scheint.
Neugierig wendet sich Nico an den Nebentisch um zu erkunden, was es mit dieser „Ausschankweise“ auf sich hat. Sein Interesse daran stößt offensichtlich auf Begeisterung, denn an der folgenden Aufklärung, die mit einem kleinen Ausflug in die Praxis endet, beteiligte sich in kurzer Zeit nahezu das ganze Lokal.
Aber zunächst zur Theorie: Wir erfahren, dass es sich bei der gelben Flüssigkeit um Sidra, einen spanischen Apfelwein, handelt. Dieses für die Region typische Getränk enthält von Natur aus wohl keine Kohlensäure. Durch das Einschenken aus gut einem Meter Höhe, dem dadurch entstehenden Kontakt mit dem Sauerstoff und dem Aufschlagen im Glas, wird die Flüssigkeit mit kleinen Luftbläschen angereichert. Auf diese Weise entfaltet das „Kultgetränk“ Asturiens sein volles Aroma und erhält den gewünschten prickelnd-perlenden, erfrischenden Geschmack.
So weit, so gut. Richtig erstaunt sind wir jedoch, als wir erfahren, dass die Zeremonie des Sidra-Ausschanks sogar richtig gelehrt wird. Ja, es gibt tatsächlich spezialisierte Sidra-Kellner – die Escanciadores. Daran hätten wir im Traum nicht gedacht, zumal das Vorgehen aus der Ferne betrachtet gar nicht so schwer zu sein scheint. Theoretisch.
Doch wie sieht es in der Praxis aus? An einem anderen Tisch sorgt gerade der Wirt persönlich für das Wohl seiner Gäste als er seinen Blick auf Nico richtet. Scheinbar kann der Wirt Gedanken lesen, fordert er Nico doch auf selbst einmal die gewöhnungsbedürftige „Einschanktechnik“ auszuprobieren. Der lässt sich das natürlich nicht zwei Mal sagen und los geht’s mit dem „Sidra-Praxis-Workshop“ – sicherheitshalber aber mit Tropfschutz in Form einer großen Kanne unter dem Experimenten-Aufbau. Nach kurzer Anleitung steht Nico so hochkonzentriert mit Flasche und Glas in den Händen da, als würde er versuchen die Flugbahn des Strahls zu berechnen. Um ihn herum einige Stimmen der Spanier, die ihm Tipp-gebend zur Seite stehen und dann der große Augenblick: Die Flasche neigt sich langsam, in hohem Bogen fließt der Apfelwein nach unten und findet tatsächlich (zumindest zu einem überwiegenden Teil) sein Ziel.
„Muy bueno“ – für das erste Mal hat er sich gut geschlagen und als Belohnung gibt es noch eine Runde Sidra auf Kosten des Hauses. Als schließlich dann noch die braungebratenen, lecker duftenden Spareribs vom Grill abgehängt und serviert werden, ist alles perfekt. Ein schöner, geselliger Abend, an den wir noch oft zurückdenken werden.
Erste Ermüdungserscheinungen auf dem Camino del Norte
Als wir am nächsten Morgen aus dem Fenster sehen, hat es aufgehört zu regnen und so können wir getrost unsere Regenkleidung wieder im Rucksack verstauen, bevor wir mit der Camino del Norte Etappe fortfahren. Zwei Tage lang werden wir nun vor allem durch das Landesinnere wandern, bis wir in Gijon landen. Wir folgen dabei rund 48 Kilometer weitgehend dem offiziellen Jakobsweg. Ein netter, aber kein besonders reizvoller Abschnitt. Durchbrochen von vereinzelten Wald- und Wiesenwegen geht es nämlich vor allem sehr häufig über Land- und Ortsstraßen, an der Autobahn entlang oder unter ihr hindurch. Die zurückzulegenden Höhenmeter belasten uns kaum, sind wir zwischenzeitlich doch ganz gut eingelaufen. Ermüdungserscheinungen gibt es hingegen an ganz anderer Stelle.
Seit ein paar Tagen haben wir es geahnt, aber bei Ankunft in Gijon wird es zur Gewissheit: Mit Blick auf unsere Füße stellen wir fest, dass so einiges im Argen liegt. Die Turnschuhe von Nico, die bei asphaltierten Untergründen zum Einsatz kommen, haben sich offensichtlich nach der erhöhten Beanspruchung der letzten Tage entschieden, dem Druck nachzugeben und mehrere klaffende Löcher hinterlassen.
Bei Andrea sind es Wanderstrümpfe, die Dank Tape über den sich auflösendem Gewebe noch ein wenig durchgehalten haben, jetzt aber endgültig nicht mehr zu retten sind. Gut dass wir uns gerade in einer größeren Stadt befinden und einen Tag hier bleiben werden, bevor es weiter geht.
Ruhetag in Gijon
Geplant haben wir diese eintägige Auszeit schon kurz nach Andreas kleiner Sinnkrise vor ein paar Tagen. „Einfach mal nichts tun“: Diesem Wunsch kommen wir heute, nachdem wir nunmehr drei Wochen unterwegs sind, nach. Naja, zumindest fast…
Wir haben uns keinen festen Plan gemacht, müssen aber einige Dinge erledigen und natürlich möchten wir „Gijon, den Geheimtipp für Spanienkenner“ auch ein wenig durchstreifen und uns selbst von dieser verheißungsvollen Aussage der einschlägigen Reiseführer überzeugen.
Unser Ruhetag von der Camino del Norte Etappe startet mit einem ausgiebigen Frühstück bevor wir losziehen, um zunächst unser „Pflichtprogramm“ zu erfüllen: Schuhe und Strümpfe kaufen. Beide ohne größere Ambitionen, den ganzen Tag mit Shoppen zu verbringen, stoßen wir glücklicherweise gleich an der ersten Ecke auf einen winzigen Sportladen, der jedoch alles bietet, was unser Herz im Moment begehrt. Viel zeitiger als gedacht, können wir daher zum angenehmeren Teil des Tages übergehen: ungezwungenes Sightseeing durch Gijon.
Allzu weit kommen wir jedoch nicht, denn unser Körper scheint verstanden zu haben, dass heute Ruhetag ist und nimmt dies ziemlich wörtlich. Als wir so an der Promenade sitzen und den Passanten nachsehen, spüren wir die Müdigkeit aufsteigen und haben das unfassbare Verlangen danach, nur noch die Füße hochzulegen. Nicht von einem Platz zum anderen, von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten – nein, heute nicht.
Typisch Asturien Teil 2: Ausgezeichnete Fabada
Stattdessen beschließen wir uns wieder einen Restauranttipp zu besorgen und fragen in unserem Hostal an der Rezeption nach. Die ersten Antworten, die wir erhalten, dürften ein Spiegel dessen sein, was sonst von den überwiegend touristischen Gästen wohl so gewünscht ist: eine Pizzeria, ein Steakhaus und sogar ein chinesisches Lokal zählt uns die freundliche Rezeptionistin auf. Nein, das ist es nicht, was wir suchen. Gibt es nicht irgendwo eine ganz landestypische Küche, ein Speiselokal in das vor allem die Spanier gehen und weniger die Touristen?
„Fabada“! Den Namen eines eintopfähnlichen Gerichtes hat Andrea bei den Vorbereitungen unseres „Abenteuer Camino del Norte“ einmal aufgeschnappt. Jetzt fällt es ihr wieder ein und wir konkretisieren unsere Suche: Gibt es in der Nähe ein Restaurant, in dem man eine typische, hausgemachte Fabada bekommt? Schon seltsam, wie manche Worte quasi Eisbrecher sein können. Bislang sicher sehr freundlich, beginnt die Dame an der Rezeption jetzt aber richtig aufzutauen. Fabada – wir wollen eine ausgezeichnete Fabada?, versichert sie sich freudestrahlend und blickt uns an, als wären wir „Verbündete im Geiste“. Ja, da hat sie einen sehr guten Tipp für uns. Nur wenige Häuser weiter sollen wir fündig werden. Dort gibt es ausgezeichnete Fabada. Dass sie dabei „ausgezeichnet“ wörtlich meint, erfahren wir bald.
Kurze Zeit später begeben wir uns in Richtung des empfohlenen Lokals, eine typisch spanische Sidreria, und sehen vor dem Eingang ein Schild mit der Aufschrift „Mejor Fabada del Mundo – 2 Premio“. Noch sind wir unsicher, ob es sich dabei eher um eine geschickt formulierte Werbeaussage handelt oder dies den Tatsachen entspricht und vergewissern uns sicherheitshalber mit einer kurzen Suche in Google. Und tatsächlich: Hier soll uns eine prämierte Fabada erwarten. Also rein ins Lokal.
Wir stehen in einem langen, schmalen Raum. Auf der einen Seite lauter belegte Tische, gegenüber ein Tresen, an dem sich eine Person nach der anderen reiht. Links hinten ist ein weiterer Raum, bis zum letzten Platz gefüllt mit ein paar Großfamilien. Die Kellnerin kommt auf uns zu. Es ist leider nichts zu machen. Nein, für den Mittagstisch bekommen wir hier keinen Platz mehr, dafür sichern wir uns für den Abend gleich einen Tisch.
Das Warten hat sich gelohnt. Als wir ein paar Stunden später eintreten, ist der einfach eingerichtete Speisesaal wieder voll mit Einheimischen – beste Voraussetzung für eine authentische Küche. Und wir werden nicht enttäuscht. Diese Fabada mit ihren dicken weißen Bohnen, dem gekochtem Speck, der Chorizo und der Blutwurst ist einfach ein Traum und für unseren Geschmack wirklich jeden Bissen wert.
Wären wir alleine im Raum, würden wir vermutlich noch die Teller ablecken, um auch den letzten Tropfen der würzigen Brühe mitzunehmen. Hier verhalten wir uns aber natürlich wie zivilisierte Menschen und fragen stattdessen nach dem Rezept.
Das abrupte Umdrehen der Kellnerin werten wir als eine Mischung zwischen „Nein“ und „unverschämte Frage“. Es dauert eine Weile, dann kommt der Koch persönlich auf uns zu und stellt sich vor unseren Tisch. Gespannt blicken wir ihn an und erwarten – wie so häufig in deutschen Restaurants schon erlebt – eine Abfuhr. Doch es kommt ganz anders. Wortlos aber lächelnd legt er einen Zettel auf den Tisch und deutet darauf. Wir können zwar mit Ausnahme weniger Worte kein Spanisch, aber schnell wird uns klar: Vor uns liegt sein Fabada-Rezept mit allen Zutaten und Zubereitungstipps. Damit hatten wir dann doch nicht gerechnet.
„Muchas gracias!“ Herzlich bedanken wir uns und hätten ihn gerne noch zu einem Glas Wein eingeladen. In der Küche wartet jedoch noch Arbeit und so lässt er uns mit einem letzten festen Händedruck wieder alleine.
Wir können nicht glauben, was gerade passiert ist, aber es ist tatsächlich so: Wir halten die Anleitung für dieses phantastische Gericht in Händen und freuen uns, zu Hause die Fabada bei Gelegenheit nach zu kochen und dann selbstverständlich in unserer Rubrik „Jakobsweg-Rezepte“ auch anderen Fans der spanischen Küche vorzustellen.
Wie heißt es so schön: „Läuft!“ Die kurze Auszeit von unserer dritten Camino del Norte Etappe hat sich gelohnt und so kehren wir rundum satt und mit uns und der Welt zufrieden zurück ins Hostal.
Hurra Bewegung!
Am nächsten Morgen packen wir wieder unsere Sachen. Bei allen Vorteilen eines Ruhetags spüren wir, dass Körper und Geist froh sind, dass es weitergeht. Auf zum nächsten Ziel! Wir haben uns zwischenzeitlich vielleicht schon so sehr daran gewöhnt, draußen an der spanischen Nordküste unterwegs zu sein, dass im positivsten Sinne eine Art innerer Zwang vorhanden ist, den Rucksack aufzuziehen, im Freien die kalte Luft am Morgen zu atmen und loszulaufen entlang phantastischer Wege und Landschaften.
Schon auf den ersten Metern raus aus Gijon merken wir, wie gut das tut. Der ganze Körper scheint angesichts der Bewegung „Hurra“ zu schreien und mit Dopamin geradezu überschwemmt zu werden.
Gut so, liegen schließlich über 70 überwiegend ländlich geprägte Kilometer vor uns, bis wir in drei Tagen beim nächsten Streckenhighlight ankommen: Cudillero.
Abstecher nach Cudillero
Schon von weitem sehen wir das kleine Hafenstädtchen, von dem fast alle Wander- und Reiseführer unisono schwärmen. Und ja, wenn man oben auf dem Berg steht und hinunter auf den Ort sieht, hat es in der Tat etwas Beschauliches. Friedlich liegen die in den Hang hineingebauten Häuser Cudilleros im Tal, umringt von viel Grün. Fast kreisförmig schmiegen sie sich um den kleinen Fischerhafen, alles wirkt ruhig. Ein Platz, an dem man sicher ein wenig verweilen kann und so beschließen wir über unzählige Treppenstufen hinab in das Zentrum zu gehen.
Aus der Nähe betrachtet, präsentiert sich der Ort nicht ganz so bunt, wie man es von den Bildern in einschlägigen Reisebeschreibungen her erwarten könnte. Aber er ist wirklich schön anzusehen, sehr gepflegt und fast hätte man sich verlieben können, wenn da nicht die vielen Restaurants wären, bereit für die per Bus anreisenden Touristenströme. Ein wenig hat dieses Ambiente etwas mit den bekannten Cinque Terre in Italien gemein. Das Ganze ist hier eben nur ein Stückchen kleiner.
Lebensgefährliche Delikatesse an der spanischen Nordküste
Auf der Suche nach ein paar Leckereien für eine Brotzeit am Hafen, schlendern wir ein wenig durch die Gassen und sehen vor einer Pescaderia erstmals eine landestypische Delikatesse, über die wir schon einiges gelesen haben: die berühmten Entenmuscheln, spanisch Percebes. Der deutsche Name ist dabei übrigens etwas irreführend, handelt sich bei dem seltsam anmutenden Getier doch nicht um Muscheln, sondern um eine Krebsart. Und diese hat offensichtlich ihren Preis, wie man dem gelben Schild entnehmen kann – nicht ohne Grund:
Zum einen sind die Erntemöglichkeiten wegen staatlich auferlegter Restriktionen stark begrenzt. Viel wichtiger aber: Die Ernte ist Schwerstarbeit und äußerst gefährlich, denn um an die begehrten Percebes zu gelangen, müssen die Entenmuschelsammler meist über Steilklippen hinab in den Atlantik steigen, um an die klitschigen Felsen zu gelangen, an denen die Beute haftet. Nur bei guten Wetterbedingungen und sehr starkem Niedrigwasser – was lediglich an vier bis sechs Tagen pro Monat der Fall ist – haben sie überhaupt die Chance, der Brandung zu trotzen und an die Arbeit zu gehen.
Ihr Fanggerät besteht dabei lediglich aus einer Art Meisel, mit der sie die Krebstiere unter großer Kraftanstrengung von den Steinen lösen. Immer umspült vom Wasser, gilt es dabei jede Sekunde den Wellengang hinter sich zu beobachten. Einen Moment der Unaufmerksamkeit kann hier zwischen den Felsen das Leben kosten.
Mit dieser Geschichte im Kopf und jeder Menge Respekt vor den Menschen, die ihr Leben für den Fang riskieren, lassen wir die Pescaderia hinter uns, um unsere Camino del Norte Etappe nach einer kurzen Vesperpause fortzusetzen. Das Bild der exotischen Krebstiere haben wir dabei noch einige Zeit vor Augen. Es war toll, diese einmal aus der Nähe zu sehen. Dass wir das Glück haben könnten, die Percebes sogar bald in ihrem natürlichen Lebensraum zu betrachten und die Delikatesse selbst zu kosten, daran denken wir natürlich noch nicht.
Alleine im Gestrüpp auf dem Küstenweg
Der nächste Tag hält für uns definitiv den schönsten Abschnitt dieser Camino del Norte Etappe bereit. Zwischen Novellana und Cadavedo folgen wir wie so oft nicht dem Jakobsweg über die Landstraße, sondern gehen mit Hilfe unseres GPS-Gerätes unsere eigene Route an der Küste entlang.
Der Weg führt teils relativ steil auf und ab, über Sand, über Gras, auf Geröllwegen entlang und immer wieder quer durchs Gestrüpp. Empfindlich darf man hier nicht sein. Überhaupt: Diese Strecke ist unwegsamer als die bisherigen und an so mancher Stelle erkennt man deutlich, dass hier schon eine ganze Weile niemand mehr gelaufen ist.
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Aber gerade diese unberührte Natur ist es, was uns in den Bann zieht. Diese Abgeschiedenheit hier draußen an der rauen Küste, gepaart mit dem wolkenverhangenen Himmel und den dunkelgrün bewachsenen bergigen Hängen, die im Meer enden, lässt diese Umgebung in manchen Augenblicken so unwirklich und gleichzeitig unglaublich reizvoll erscheinen. Ein erster vager Vorgeschmack auf unser Unterwegs-sein an der Costa da Morte, die wir in rund zwei Wochen erreichen werden…
Count Down der dritten Camino del Norte Etappe
Bevor es soweit ist, gilt es aber erst einmal unsere letzten Kilometer auf dem Camino del Norte zurückzulegen. Von Cadavedo aus geht es über Luarca, Navia und Tapia de Casariego nach Ribadeo: vier Tage, vollgepackt mit wunderschönen Augenblicken und Bildern von alten Häusern, Ruinen und Lavaneros, Waschhäusern aus einer Zeit, in der es noch nicht überall fließendes Wasser gab – und natürlich wieder mit Aussichten über die Küste und das Meer soweit das Auge reicht.
Es sind aber auch vier Tage, in denen wir uns über jeden Meter freuen, der uns näher an Ribadeo heran bringt und gleichzeitig mit jedem Meter bedauern, dass hier ein wichtiger Abschnitt unseres „Abenteuers Camino del Norte“ enden wird.
Als wir schließlich in Ribadeo ankommen, über eine letzte Brücke laufen, hinein in das Städtchen, wird uns erst richtig bewusst, wie phantastisch unsere Reise bislang verlaufen ist. 30 Tage lang haben wir hier entlang des Camino del Norte ein Feuerwerk der Eindrücke erlebt. Dass uns das absolute Highlight dieses Abschnittes an der spanischen Nordküste heute Abend aber erst noch bevorsteht, wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Die Steigerung von bombastisch: Praia das Catedrais
Wie es der Zufall manchmal so will, kommen wir auf der Straße ins Gespräch mit zwei Rucksackreisenden, die hier in Ribadeo an ihrem persönlichen Zielort angekommen sind. Als Krönung ihrer Reise, so erfahren wir, werden sie heute Abend mit der Bahn an den „Praia das Catedrais“ fahren. Von diesem Strand haben auch wir schon gehört, ihn lose auf unserer Agenda notiert, uns aber noch nicht wirklich damit beschäftigt. Morgen Vormittag, so erzählen wir, führt uns unsere Route automatisch daran vorbei, nichts ahnend, dass vor allem der richtige Zeitpunkt Voraussetzung für einen Besuch dieser Sehenswürdigkeit ist. Wir lassen uns aufklären:
Der Strand ist nur begehbar bei sehr niedriger Ebbe. Die nächste Gelegenheit ergibt sich heute Abend gegen 21 Uhr. Am nächsten Morgen wird die Faszination für einige Zeit von der Flut verschlungen und unsichtbar sein. Kurzerhand entscheiden wir daher, uns den beiden anzuschließen und am Abend mit der Bahn zusammen an den Praia das Catedrais zu fahren.
Was uns dann erwartet, ist einfach nicht in Worte zu fassen. Wir haben schon viele tolle, traumhafte Strände auf dem Weg hierher gesehen. Aber das was wir hier erleben dürfen, ist fast schon filmreif.
Der rund 1,5 Kilometer lange Küstenabschnitt entpuppt sich als wahres Naturdenkmal. Über Jahrhunderte haben Sand, Wasser und Wind hier majestätisch anmutende Felsformationen geschaffen. Beim Spaziergang über den Strand ragen die Klippen und dunklen Schieferfelsen neben uns empor, immer wieder tropft Wasser von dem noch nassen Gestein herunter und die Abendsonne sorgt für ein Licht- und Schattenspiel, das seinesgleichen sucht.
Unsere Begeisterung an diesem Abend kennt kein Ende und wenngleich wir uns nicht von jedem touristischen Highlight angezogen fühlen, ist der Besuch des Praia das Catedrais unserer Überzeugung nach ein absolutes Muss für alle, die diese Camino del Norte Etappe zurücklegen. Hier ein paar Tipps zur Planung der Besichtigungstour.
♦ ♦ ♦ Tipps zur Planung der Praia das Catedrais-Besichtigung ♦ ♦ ♦
Wichtig zu wissen: Der Praia das Catedrais liegt nicht auf dem offiziellen Weg des Camino del Norte. Daher sollten insbesondere Pilger, die von Ribadeo aus ins Landesinnere Richtung Santiago des Compostela weiterziehen, ihren Aufenthalt in Ribadeo entsprechend planen.
- Die Gezeiten
Wie bereits erwähnt, ist die Besichtigung des Praia das Catedrais von den Gezeiten abhängig. Erste Informationen zu den Uhrzeiten erhält man im Internet zum Beispiel auf der Webseite der XUNTA de Galicia . Da jedoch Ebbe nicht gleich Ebbe ist und ein Spaziergang am Strand nur bei sehr niedrigem Wasserstand möglich ist, ist es ratsam sicherheitshalber vor Ort im Touristenbüro nochmals den exakten Zeitpunkt zu erfragen. - Zeitweise begrenzter Zugang
Zur Steuerung des Touristenaufkommens ist an manchen Tagen eine Reservierung erforderlich, um auf das Areal zu gelangen. Informationen darüber erhält man ebenfalls auf der Webseite der XUNTA de Galicia. Im Fall der Fälle kann man die Buchung dann auch direkt dort vornehmen.
- Die Anfahrt
Von Ribadeo aus hat man die Möglichkeit, mit der Bahn raus zum Strand zu fahren. Die Fahrt dauert rund acht Minuten. Ausstiegspunkt ist Esterio, von wo aus man zu Fuß in wenigen Minuten das Ziel erreicht. Einen Fahrplan erhält man bei der Touristeninformation.
Bitte beachten: Die Bahn fährt lediglich vier Mal am Tag. Es kann also sein, dass man bei der Hin- und/oder Rückfahrt auf ein Taxi ausweichen muss. - Alternativ kann man den rund 15 Kilometer langen Weg von Ribadeo bis zum Praia das Catedrais selbstverständlich auch zu Fuß gehen und die Besichtigung im Rahmen eines Tagesausflugs planen.
Es lohnt sich bestimmt!
Die Stunden am Praia das Catedrais vergehen wie im Flug. Wow, was für ein Erlebnis. Ein sagenhafter Abschluss, der den Abschied vom Camino del Norte nicht gerade leichter macht.
30 Tage auf dem Camino del Norte – ein Resümee
Ja, die letzten 30 Tage waren einfach toll, ereignisreich und lehrreich. Und nun ist der Zeitpunkt gekommen, den wir eigentlich so sehr herbeigesehnt hatten: Wir stehen hier, in Ribadeo, wo wir den Jakobsweg, der uns bislang immer wieder die Richtung vorgegeben hat, endgültig verlassen. Ab Morgen folgen wir nur noch unserer eigenen Wegeplanung und werden sogar bald ein Stück „Neuland“ betreten.
Navigationshilfe für den Camino del Norte. Mit den händisch bereinigten GPS-Daten für den Camino del Norte fällt die Orientierung auch abseits des regulären Jakobsweges leicht. Zum kostenlosen Download einfach auf den Banner klicken.
Etwas Wehmut kommt auf, wenn wir so darüber nachdenken und uns plötzlich bewusst wird, dass wir all die Weggefährten der vergangenen Tage nicht mehr treffen werden. Obwohl man verschiedene Strecken gewählt und an unterschiedlichen Orten übernachtet hat, so traf man sich doch irgendwie zufällig immer wieder. Man ist in einer Bar beim Kaffee und siehe da, wer schaut da durchs Fenster? Oder man geht in eine Bäckerei und siehe da, wer steht da an der Kasse? Auch beim Frühstück hört man eine bekannte Stimme guten Morgen sagen. Und selbst beim Vesper an einem Aussichtspunkt fern ab des offiziellen Weges glaubt man es kaum: Da kommen doch schon wieder bekannte Gesichter um die Ecke.
Irgendwie seltsam, man könnte sagen „It’s magic“ – Und vielleicht ist es in der Tat diese „Magie des Wiedersehens“, die den Jakobsweg ausmacht und für dieses unglaublich vertraute Gefühl in der Fremde sorgt…
Vielleicht ist es die „Magie des Wiedersehens“, die das Unterwegs-sein entlang des Camino del Norte ausmacht.
Bevor der Bericht über unsere Zeit auf dem Jakobsweg Camino del Norte jetzt hier endet, um im vierten Beitrag dann bereits von unserer Weiterreise Richtung Costa da Morte zu berichten, noch ein kurzes Resümee zum Weg selbst.
Der Name „Küstenweg“, der oft Synonym für Camino del Norte genutzt wird, ist etwas irreführend. Sicher gibt es einige Strecken, die direkt am Atlantik entlang führen, folgt man jedoch dem offiziell ausgezeichneten Camino del Norte von Irun nach Ribadeo, sind diese eher rar. Hier hat sich für uns abschnittsweise unsere eigene Tourenplanung durchaus bewährt, die uns glücklicherweise häufiger den Genuss einer frischen Meeresbrise um die Nase und gute Laufwege, abseits von Asphalt, beschert hat.
Der Küstenweg ist kein Spaziergang. Wer hier wochenlang unterwegs ist, sollte eine gewisse Kondition mitbringen und sich auf keinen Fall überschätzen. Hier draußen muss man niemanden etwas beweisen, sondern sollte seinen ganz eigenen Rhythmus finden. Denn was an ein, zwei oder drei Tagen vom Körper noch wunderbar weggesteckt wird, kann am vierten Tag bereits unvermittelt zum Abbruch führen. Daher geben wir an dieser Stelle unser wohl wichtigstes Learning der letzten 30 Tage gerne weiter.
Camino del Norte Etappe 3: Lessons Learned
Wir sind ja bekannt dafür, nicht gerade esoterisch veranlagt zu sein. Aber wie wichtig es ist, in sich hinein zu horchen und sich physisch und psychisch nicht zu überfordern, haben wir selbst erlebt. Daher können wir nur raten, auch das kleinste Warnsignal ernst zu nehmen, um sich unter Umständen rechtzeitig eine Auszeit zu gönnen.
Hört auf Euren Körper UND auf Euren Geist!
Anschließend geht es dann mit noch mehr Spaß und Elan weiter, anstatt unnötigerweise vorzeitig die Grenzen des Machbaren zu erreichen.
Dass wir dies in den letzten 30 Tagen verinnerlicht haben, darüber werden wir beim Unterwegs-sein an der Costa da Morte noch sehr froh sein. Jetzt heißt es aber erst einmal auf nach A Coruna. Wie es uns auf diesem mehr als 300 Kilometer langen Weg ergeht, welche Überraschung das Wandern im Nebel mit sich bringen kann, weshalb Naturliebhaber diese Strecke nicht versäumen sollten und wieso wir in der großen Hafenstadt Stunden im Institut für Geografie verbringen, darüber berichten wir in Teil 4 unseres „Abenteuer Camino del Norte“.
>> Und so geht es weiter: Camino del Norte Etappe 4: der „Kathedralenstrand“ Praia das Catedrais
>> Was bisher geschah: Camino del Norte Etappe 2: Walk, Eat, Sleep, Repeat…