Nun waren wir also gelandet, in Ecuador, dem letzten Ziel unseres „Abenteuer 100 Tage Südamerika“. Bis zum Abflug zurück nach Deutschland standen uns noch exakt 11 Tage zur Verfügung. Etwas wenig Zeit, um das kleinste südamerikanische Land kennenzulernen und so blieb uns nichts anderes übrig als Prioritäten zu setzen. Und die lagen nicht auf landschaftlichen Highlights wie den Galápagos-Inseln, Cotopaxi & Co. Nein, vielmehr wollten wir ein letztes Mal eintauchen in das Leben und Arbeiten in Südamerika. Mit einer Ausnahme: Das Äquatordenkmal stand dann doch noch auf unserer „Must see Liste“.
Der kleine Ausflug dorthin führte uns gut 40 Kilometer nördlich von Quito. Schon beim Einsteigen in den Bus baten wir darum, uns in der Nähe des Äquatordenkmals aussteigen zu lassen und so fanden wir uns rund zwei Stunden später in einem kleinen Vorort kurz vor Cayambe wieder. Die Bilder des „Mitad del Mundo“ vor Augen gingen wir umher, auf der Suche nach dem Monument, das in jedem Reiseführer zu finden ist. Eine Weile liefen wir erfolglos durch die Gegend, dann endlich sahen wir jemanden, den wir nach dem Weg fragen konnten. Keine fünfzehn Minuten später fanden wir uns auf einem Platz direkt neben dem Highway Panamericana wieder, ein großes Plakat hieß uns willkommen: „Bienvenidos a la Mitad del Mundo“. Sind wir hier richtig? In der „Mitte der Welt“?
La Mitad del Mundo zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Vor uns ragte nicht etwa der erwartete prachtvolle steinerne Monolith mit symbolisierter Erdkugel an der Spitze in die Höhe. Vielmehr standen wir auf einer gepflasterten Fläche in deren Mitte eine eher schmucklose, orangefarbene Säule emporragte. Irritiert und enttäuscht sahen wir uns um, als ein Mann an uns herantrat und uns aufklärte:
Das von uns erwartete Denkmal „Mitad del Mundo“ befindet sich mehr als 50 Kilometer entfernt von unserem jetzigen Standort. Es wurde dort errichtet, wo im Jahre 1736 während einer französischen Expedition die Position des Äquators berechnet wurde. Doch die Verantwortlichen unterlagen damals wohl einem Messfehler und verfehlten die Linie des Äquators um etwa 240 Meter. Ein Messfehler, der nie richtig korrigiert wurde und bis heute dazu führt, dass sich Besucher über die gelbe Linie beim „Mitad del Mundo“ stellen, in dem Irrglauben, sich auf beiden Hälften der Erde gleichzeitig zu befinden.
Hier hingegen, beim weniger opulenten 2007 erbauten, orangefarbenen Denkmal Quitsato wurde der Äquator auf einen Millimeter genau bestimmt. Wenn wir also an den Ort wollten, bei dem die Erdachse senkrecht steht und man sich tatsächlich zur gleichen Zeit sowohl auf der Nord- als auch auf der Südhälfte der Erdkugel befinden kann, dann waren wir hier genau richtig.
Anschaulich schilderte er uns noch ein wenig die funktionale Seite dieser Stätte mit ihrer großen Sonnenuhr und der Säule, die sich direkt auf dem Äquator befindet und als Schattenzeiger dient. Gerne hätten wir die Funktion auch in der Praxis erlebt und den Verlauf des Schattens nachvollzogen, doch wir mussten uns auf den Rückweg nach Quito machen. Die Weiterreise wartete bereits.
Ein letztes Mal rein ins südamerikanische Leben
Unsere Erkundungstour führte uns vor allem in die Sierra, in die andine Region Ecuadors. Es war das Umland rund um die Städte Quito, Riobama und Cuenca, das uns anzog. Unsere Zeit verbrachten wir dabei hauptsächlich in den Gassen der kleineren Ortschaften und Dörfer, um uns ein Bild über die Menschen und deren Leben zu machen. Wie immer nutzten wir dazu jede Menge alltäglicher Begegnungen auf den bunten Märkten, in kleinen Parks, an Essensständen, an Bushaltestellen oder auch einfach nur auf der Straße.
Alltagsbegegnungen in Ecuador
Immer wieder führte der Weg dabei in ländliche Randgebiete, in Gegenden, die auf keiner Reiseroute mehr stehen.
(Kreis-)runder Produktionsprozess
Wir starteten in der Region Pujili. Den Tipp hatten wir von einer Marktfrau erhalten. Hier sei eine der Hochburgen für traditionelle Töpferei und Keramik, in der jedoch im Gegensatz zum populären Otavalo der Tourismus noch nicht Einzug gehalten hätte. Einfachste Produktionsstätten würden uns erwarten, mit einfachsten Herstellungsprozessen.
Wie „einfach“ dabei einfach sein kann, davon hatten wir nicht die geringste Vorstellung. Aber die Rahmenbedingungen, unter denen hier die Menschen ihrer Tätigkeit nachgehen, waren wirklich sehr schlicht. Mancherorts schien es gar fast so als sei die Zeit stehen geblieben.
Am Rande eines Dorfes sahen wir beim Vorübergehen in einem Hof einen Mann, Carlos sein Name, der mit einem Esel auf dunkler Erde immer wieder im Kreis umher ging.
Es stellte sich heraus, dass das Werken dazu dient, den Rohstoff für die Töpfer herstellen. Eine äußerst mühselige Aufgabe. Zunächst wird kreisförmig Erde auf dem Boden ausgebreitet und mit Wasser versehen. Um beides sorgfältig zu vermischen setzt Carlos den Esel als Hilfsmittel ein und führt diesen unentwegt auf der Fläche im Kreis herum.
Damit die richtige Konsistenz für die weitere Verarbeitung erzielt wird, reichert seine Frau Eva schaufelweise die Erde mit der Asche von Eukalyptusbäumen an. Wann dieser Anreicherungsprozesse beendet ist spürt Carlos, wenn er die Erde in die Hände nimmt und zwischen den Fingern zerreibt. Einen ganzen Tag lang kann sich diese Arbeit hinziehen, bis die nächste Charge Erde ausgelegt werden kann.
Keine Maschinen, keine Wiegestation für die Rohstoffe, keine Utensilien für die Überprüfung der richtigen Zusammensetzung des Erde-Asche-Wasser-Gemischs. Das Kapital des Paares ist einzig ihre jahrelange Erfahrung, die eigene Hände Arbeit und ein Esel.
Doch wie wird der Ton nun verarbeitet? Ein paar Kilometer weiter sollten wir anschauliche Antworten erhalten.
Ecuador zwischen Tradition und Digital 2.0
Wir landeten in La Victoria, wo das Töpfern unmissverständlich allgegenwärtig ist. Bereits auf dem großen Platz bei der Kirche finden sich viele Wandmalereien, die dieses Thema verbildlichen.
Unser erster Anlaufpunkt war das „Infocentro“ in der Annahme, dass wir hier in einer Art Rathaus oder Fremdenverkehrsamt landen. Doch weit gefehlt.
Wir erfahren, dass es sich hier um eine Art Gemeinschaftszentrum handelt. Eines von mittlerweile über 800, die die Regierung in den letzten Jahren aufgebaut hat. Vor allem die Bevölkerung in ländlichen Gemeinden und Randgebieten soll so Zugang zu Informationstechnologien erhalten. Die „Infocentros“ sind das wichtigste Stück eines großen gesellschaftspolitischen Projektes, das vor gut vier Jahren ausgerufen wurde: die „Ecuador Digital 2.0 Strategy“. Dort, wo noch nicht selbstverständlich in jedem Haushalt ein Computer zu finden ist, soll das Schaffen dieser zentralen Infrastruktur die Teilhabe an der digitalen Vernetzung sicherstellen. Damit möchte Ecuador den digitalen Analphabetismus bekämpfen und die Bürger unterstützten, moderne Informationstechnologien für ihre Zwecke zu nutzen. Bemerkenswert, wie eng hier Tradition und Fortschritt zusammenliegen.
Rund 3.200 Einwohner zählt übrigens La Victoria. 100 Familien sollen in dieser Region vom Handwerk leben, von Erzeugnissen, die dann meist über Mittelsmänner in rund 30 Shops der Umgebung oder auf Märkten verkauft werden. Bislang. Aber wer weiß: Vielleicht kann auch in naher Zukunft ganz Ecuador in einem „digitalen Schaufenster“ die handgearbeiteten Waren aus La Victoria betrachten und direkt beim „Produzenten“ bestellen.
Unterwegs in La Victoria
Wobei wir wieder beim Stichwort waren: Wo könnten wir einige Produktionsstätten sehen? Die freundliche Infocenter-Mitarbeiterin Andi, die uns gerade noch in Sachen Digitalstrategie Ecuadors aufgeklärt hat, half uns auch bei dieser Frage.
Wirklich begeistert davon, dass wir uns für die Menschen und ihre Arbeit interessieren – was für uns selbstverständlich ist, normalerweise aber wohl sehr selten vorkommt – erklärte sie sich bereit, uns zu begleiten. Es sei so wichtig für die Menschen hier, dass sie Respekt und Anerkennung erfahren und unser Interesse würde dazu beitragen. Worte, über die wir uns sehr freuten …
Wir folgten Andi in die kleinen ungepflasterten, sandigen Dorfstraßen, vorbei an einfachen Häusern, bellenden Hunden und spielenden Kindern. Alles hier wirkte wie in den meisten ländlichen Gegenden, die wir auf unserer Reise durch Südamerika in den letzten Wochen durchquert hatten. Mit einer Ausnahme: Auffällig waren die Tonwaren, die auf vielen Grundstücken zum Trocknen ausgebreitet wurden.
Zwischen Erdhügeln und Wäscheleine fanden sich allerlei nützliche Gegenstände wie Schüsseln, Töpfe für die Aufbewahrung von Lebensmitteln, aber auch ein paar Dekorationsartikel wie kleine Pilze oder Behältnisse für Teelichter.
Wir traten in einen Hof hinein und standen vor der ersten von insgesamt drei Produktionsstätten, bei denen wir in La Victoria hinter die Kulissen blicken durften.
Drehscheibe Töpferei
Die Arbeitsumstände waren bei allen recht ähnlich: Auf kleinsten Raum finden sich einfache Werkbanken auf denen Klumpen von Ton und Lehm durch geschickte Hände zum Leben erweckt werden. Oder genauer gesagt: durch geschickte Koordination von Hand- und Fußarbeit. Denn während die Töpferin Rosa den Ton langsam zu einer Schüssel formt und dabei immer wieder mit Wasser befeuchtet, führt sie unentwegt ihre Fußsohlen über das Schwungrad unter ihr, um die Töpferscheibe in eine schnelle Drehung zu versetzen.
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Ganzer Körpereinsatz wie vor Hunderten von Jahren anstatt maschineller Unterstützung scheint kein Problem zu sein. Unsere Begleitung Andi übersetzt: Töpfern ist Rosas Passion und dabei mit Händen und Füßen im Takt zu arbeiten lässt offenbar eine besondere Verbindung zu ihrem Arbeitsergebnis, ihrem „Werk“ entstehen, auch wenn es sich hier nicht um Kunst, sondern um Alltagsgegenstände handelt. Dieses Gefühl würde der Einsatz eines elektrischen Motors zumindest stören, wenn nicht gar zunichte machen. Wir dachten kurz über das Gesagte nach und hatten verstanden, was sie uns damit mitteilen wollte: Sie zieht Intensität der Bequemlichkeit vor.
Wie leidenschaftlich die Ecuadorianer hier ihrer Töpferarbeit nachgehen, davon konnten wir uns auch in der nächsten Produktionsstätte überzeugen.
Das Paar Israel und Cecilia hat sich auf etwas größere Gefäße – allem voran Vasen – spezialisiert. Das Formen des Rohproduktes aus einem einzelnen Klumpen Ton ist hier nicht mehr möglich. Vielmehr werden Stränge von Ton schrittweise ringförmig übereinander geschichtet. Formen, Trocknen, Formen, Trocknen … ein fortwährender Prozess zwischen den unterschiedlichen Bearbeitungsschritten. Danach beginnt in liebevoller Handarbeit die Dekoration und aus unscheinbaren Tongefäßen entstehen wahre Schmuckstücke. Schmuckstücke, so erzählen sie, die sie für die ecuadorianische Haushalte herstellen. Eine Mischung aus Aufregung und Stolz klingt dabei in ihren Stimmen. Und stolz können sie zurecht sein, auf ihre eigene kleine Produktionsstätte.
Gedanken über das Leben
Es war schön zu sehen, mit welcher Freude die Menschen ihrer Arbeit nachgehen. Ihr Tun schien sie im positiven Sinne auszufüllen. Vielleicht liegt dies auch daran, dass sie nicht damit hadern, dass Arbeiten und Leben Hand in Hand gehen. Die für uns oft so entscheidend erscheinende Frage nach dem „Entweder – Oder“ existiert hier in Südamerika unserer Erfahrungen nach nicht oder ist zumindest nicht derart prägend, dass sie das ganze Denken und Handeln bestimmen würde. Freizeit, Urlaub, Pause, Teilzeitjob … All dies scheint uns immer mehr die Erfindung einer privilegierten Welt, die aber trotz all ihrer Errungenschaften beim Kampf um mehr Lebensqualität heute mehr denn je nach dem Sinn des Lebens sucht. Irgendwie paradox.
Aber zurück zu unserer Erkundungstour. Eine Station wollte uns Andi noch zeigen. Einen Platz, an dem auf kleinstem Raum alles zu finden war, was das Töpferhandwerk so benötigt. Dazu gehören zum Beispiel kleine, in Eigenarbeit gebaute Maschinen, sozusagen „Mixanlagen“, in denen manche selbst ihr Tonmaterial für die Weiterverarbeitung vorbereiten und steinerne, durchaus etwas abenteuerlich wirkende Brennöfen aus denen beißender Qualm steigt.
Brennöfen und Mixanlagen für das Töpferhandwerk
Eine Ausstattung, die hier längst nicht jeder hat, aber man hilft sich aus, im Rahmen einer selbstverständlichen „Nachbarschaftshilfe“.
Ein Mann führt uns über seinen Hof, zeigt uns seine „Anlagen“ für das kleine Töpfereigewerbe, das er zusammen mit seinem Sohn betreibt und präsentiert uns zum Abschluss noch seine neueste Errungenschaft: eine Töpferwerkbank, angetrieben mit Elektromotor! Es hatte fast etwas Feierliches, als er den Motor anwarf, das sonore, eiernde Geräusch erklang und wir zusahen, wie sich die Scheibe unentwegt wie von selbst drehte. Wir spürten deutlich: Dies war etwas ganz Besonderes für ihn …
Ja, etwas ganz Besonderes waren auch für uns die Besichtigungen der Arbeitsstätten rund um La Victoria, aber auch auf unserem weiteren Weg durch Ecuador.
Eingespielter Familienbetrieb
Auf der Weiterreise Richtung Cuenca stießen wir noch ein letztes Mal auf das Töpfereigewerbe. Doch in der durchaus schon als „mittelständischer Familienbetrieb“ zu bezeichnende Produktionsstätte ging es wesentlich turbulenter zu, als im beschaulichen La Victoria. Hand in Hand arbeiteten hier 14 Leute rund um das Familienoberhaupt, den Jefe Eliceo, zusammen – von der Herstellung des Rohstoffes bis zum Verpacken der fertigen Produkte.
Wohin wir auch sahen, geschäftiges Treiben. An Werkbanken wurden freihändig Produkte erstellt, an anderen mit Hilfe von Models Gegenstände geformt, Tonmischungen wurden angerichtet, getrocknete Schalen in einen großen, begehbaren Ofen zum Brennen gestellt oder die fertige Ware in bunte Säcke verpackt, bereit für den Transport zum Kunden.
In diesem Familienbetrieb arbeiten alle Hand in Hand.
In drei Tagen können hier bis zu 1.000 Tonbehälter erzeugt werden, erzählt uns Eliceo. Neben den Angestellten packt dabei die ganze Familie mit an, seine Frau, sein Sohn und vier Töchter. Auch die Kleinste unter ihnen ist voller Elan dabei. Dass die Kinder mithelfen, ist hier in Ecuador ganz normal.
Der flächendeckende Zugang zu Bildung ist in Ecuador noch lange keine Selbstverständlichkeit.
„Kinderarbeit“ denken manche bei uns zu Hause nun wohl empört. Und ja, auch wir haben von „Kindheit“ eine andere Vorstellung. Doch ohne den Zustand zu verharmlosen, eine Anmerkung dazu: Auf unserer Reise sehen wir keine Szenen von kleinen Kinderhänden, die fließbandartig und im Akkord ihre Arbeit verrichten. Neben dem Schulbesuch helfen aber in der Tat die Kinder selbstverständlich mit – sei es wie hier in der Töpferei, an Marktständen, in Läden, Restaurants oder auf dem Feld – und lernen auf diese Weise von ihren Eltern sukzessive wichtige Fertigkeiten kennen. Fertigkeiten, die früher oder später gerade in Ländern existenzentscheidend sein können, in denen – so erzählt man uns – Besuche weiterführender Schulen für viele zu teuer sind und flächendeckende (Aus-)Bildungssysteme (noch) Zukunftsmusik.
Webmeister bei der Arbeit
Wie viel Spaß Kinder beim oft auch spielerischen Dabeisein im Alltag ihrer Eltern haben, durften wir an vielen Plätzen erleben. Ein ganz Besonderer lag in der Nähe von Chordeleg. Wieder einmal war es der Zufall, der uns zu der drei Personen umfassenden kleinen Manufaktur für Panamahüte führte: Maria, ihre Mutter und die kleine Tochter, gekleidet in bunten Farben, die die Fröhlichkeit der Gemüter wunderbar wiederspiegelt.
Auf der wenige Quadratmeter umfassenden Freifläche tummeln sich Hühner und Hunde, doch davon lassen sich die Hut-Weberinnen nicht ablenken. Hochkonzentriert gehen sie ihrer Arbeit nach und legen flink eine Faser nach der anderen übereinander. Das Ergebnis ihrer Heimarbeit ist ein Hutrohling von dem das Stroh in alle Richtungen absteht. Der Rohling wird anschließend über einen Block gezogen, um die Hutkrempe zu flechten und den Krempenrand fertigzustellen. Das Waschen und Bleichen des Hutes erfolgt dann in einer größeren Manufaktur, wo der Hut in einem letzten Produktionsschritt in seine endgültige Form gepresst wird.
Zwei Hüte pro Tag schaffen die fleißigen Hände. Ihr Lohn beträgt rund 20 Dollar pro Hut – was ungefähr dem 2,5fachen des Materialeinsatzes entsprechen soll. Der Verkaufspreis in den Boutiquen beträgt ein Vielfaches …
Vom Aussterben der Manufakturen in Ecuador
Noch werden in den kleinen und kleinsten Manufakturen Ecuadors die meisten Hüte hergestellt. Noch. Aber auch hier hält langsam die Industrialisierung Einzug. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die Manufakturen Stück für Stück verschwinden, die kleinen Produktionswerkstätten ersetzt werden durch Fabrikhallen mit Produktionsrobotern. Der Weg vom handwerklichen Erzeugnis hin zum im wahrsten Sinne des Wortes „Fabrikat“ scheint unabwendbar.
In Otavalo konnten wir Anzeichen für diese Entwicklung übrigens bereits deutlich spüren: Identische Produkte fanden sich an unterschiedlichsten Ständen. Die „persönliche Handschrift“, die „Einzigartigkeit“ der Waren ist häufig nicht mehr erkennbar. Der Markt ähnelt eher einem (billigen) Souvenirparadies für die Touristen. Schade.
Aber ein paar Ausnahmen konnten wir auf unserer Reise dann doch noch entdecken: Zum Beispiel Aurelio, der Flechtwaren herstellt, die seine Frau dann auf der Straße verkauft. Oder Marco, unter dessen Händen in einer kleinen Werkstatt aus Schrott neue Dinge wie zum Beispiel eines der „Wahrzeichen“ von Ecuador – ein Kolibri – entstehen. Und einen Sattler, der mit seiner Hände Arbeit bildschöne Einzelstücke aus Leder herstellt, so wie Generationen vor ihm. Eine Tradition, die in Vergessenheit geraten wird – mehr oder weniger schnell …
Umso glücklicher waren wir, dass wir während unserer Reise durch Ecuador so viele kleine Einblicke in die traditionellen Arbeits- und Lebenswelten erhalten durften. Ein Höhepunkt dabei war sicher nicht zuletzt auch die Teilhabe an einem der Feste, von denen es – soweit man davon als „Fremder“ überhaupt Kenntnis erhält – wohl einige gibt. Wir hatten auf der Straße von dem Ereignis erfahren.
Eigentlich wollten wir uns nur nach der Abfahrtzeit eines Busses erkundigen. Doch anstatt am Abend wie geplant weiterzureisen, landeten wir bei einem Stierkampf am Rande eines Dorfes irgendwo zwischen Riobama und Cuenca.
Kräftemessen beim Stierkampf
Der Ort des Geschehens: Ein sandiger Platz, im Hintergrund eine kleine Kirche und Stände, an denen Essen und Getränke angeboten wurde. Auf der einen Seite waren wackelige Tribünen aufgebaut, auf der anderen Fahrzeuge, die als Sitz- und Stehgelegenheit für das Publikum dienten.
Kaum hatten wir uns mit ein wenig Verpflegung versorgt und Platz genommen, erfolgte auch schon der Auftakt zum Kampf. Eine Band machte die Runde in der „Arena“, während sich langsam die Reihen der Zuschauer füllten.
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Wir hatten nicht die geringste Ahnung, was uns erwarten würde. Ein Stierkampf in Ecuador! Wir befürchteten das Schlimmste und erkundigten uns bei unseren Sitznachbarn. Die kleine lustige Familie aus Quito war extra wegen des Festes angereist und erläuterte uns in Englisch die Hintergründe.
Bei diesem Stierkampf trifft kein mit Spießen und Dolch bewaffneter Torero auf das Tier mit der Absicht ihm Schaden zuzufügen. Es handelt sich eher um eine Art Schaukampf, ein unblutiges Kräftemessen unterschiedlicher Familienverbunde. Jeder Verbund reist mit seinem eigenen Stier an, gegen den die Mitglieder der unterschiedlichen Gruppen antreten. Es geht um Mut, darum, wer am längsten vor dem Stier ausharrt und welcher Stier die meisten in die Flucht schlägt. Die Werkzeuge der zweibeinigen Mitkämpfer: Lasso, farbige Tücher und flinke Füße.
Der erste Stier betrat die Arena und los ging ein aufregender Wettkampf, der sich am besten mit dem Bild- und Videomaterial in dieser Galerie beschreiben lässt:
Unblutiger Stierkampf als Volksfest
Die ganze Veranstaltung dauerte bis in den Abend hinein. Stier um Stier, Familienverbund um Familienverbund traten gegeneinander an, bis schließlich der Gewinner feststand. Dazwischen immer wieder Musikeinlagen, eine Runde Empanada für uns und unsere Sitznachbarn, ein Gläschen Zuckerrohrschnaps, ein Bier, jede Menge Popcorn und ganz viel Spaß. Dann, viel zu schnell, wurde es dunkel und für uns hieß es wieder einmal Abschied nehmen. Ein Abschied von großartigen Menschen und einem wunderbaren Erlebnis.
Wenn es am Schönsten ist …
Wie heißt es in einem alten Sprichwort so schön: „Wenn es am Schönsten ist, sollte man gehen“. Und der Moment war nun gekommen. 97 Tage Südamerika lagen hinter uns. 97 Tage, die uns im Minutentakt neue Eindrücke beschert hatten – von den facettenreichen Landschaften, aber vor allem von den Menschen auf diesem Kontinent, von ihren Wertevorstellungen und Lebensweisen.
Unser Kopf war mehr als gefüllt und wir entschlossen den Cooldown unseres „Abenteuer 100 Tage Südamerika“ an einem einsamen Ort am Meer zu verbringen. Einfach ein paar Stunden nur auf das Wasser blicken, Vögel am Himmel beobachten, nichts tun und dabei langsam von der „Droge Südamerika“ wieder herunterkommen, bevor wir in das Flugzeug steigen, das uns zurück nach Hause bringen würde.
Stundenlang gingen wir am Strand spazieren, setzten uns immer wieder in den Sand, zwickten uns gegenseitig, um sicher zu sein, dass das was hinter uns lag kein Traum war.
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Der Tag am Meer
Erinnerungen stiegen auf, an unsere Anfänge in Südamerika, an Bolivien, das Land, das uns persönlich ganz besonders ans Herz gewachsen ist. Hier starteten wir in der Hauptstadt Sucre zwischen Barrikaden, Protestaktionen und Sprachschule mit einer vierzehntägigen „Akklimatisierungs- und Aufwärmphase“, bevor wir uns wochenlang im wahrsten Sinne des Wortes auf abenteuerliche Weise durch Salzwüsten, Yungas, Dschungel, Pampa & Co bewegten. Die Stunden unterwegs vergingen wie im Fluge und ehe wir es uns versahen waren bereits 50 Tage verstrichen.
Danach ging es nach Peru, das sich als eine Art riesiger Erlebnispark erwies. Der große Andenstaat wartete mit so ziemlich allem auf, was man sich nur wünschen kann: von vielfältigen, teilweise fast magisch wirkenden Landschaften über charmante Ortschaften bis hin zu kulturellen Stätten, die das Erbe der Inkas bis heute bewahren. Entsprechend verbargen sich tatsächlich hinter fast jeder Ecke „Aha-Momente“…
Und zuletzt nun Ecuador, die „Mitte der Welt“, in der wir noch tiefer in das Leben und Arbeiten in Südamerika eintauchen durften.
100 Tage Abenteuer Südamerika. Was ist geblieben?
Was ist geblieben, von unserem 100tägigen Unterwegs-sein, unserer Reise durch drei fremde Länder, die Begegnung mit anderen Kulturen?
Die ausdrucksvollen Gesichter, die allgegenwärtige Offenheit und Hilfsbereitschaft der Menschen uns „Fremden“ gegenüber, die unbeschreiblichen Farben, die Weite der Natur, das geschäftige Treiben auf den Straßen und Märkten in den großen Städten und kleinsten Dörfern und natürlich unsere Lieblingstiere: die kleinen knuddeligen Lamas und Alpakas.
Es sind aber nicht nur Bilder, die wir vor Augen haben, sondern vor allem Gefühle, die weit über das hinausgehen, was wir in dieser elfteiligen Beitragsserie vermitteln konnten. Erlebnisse, die unser Verständnis dessen, was lebenswert bedeutet, ein Stück weit verändert haben. Die Erkenntnis, dass ein respektvolles, fürsorgliches Miteinander mehr zählen sollte, als materieller Reichtum. Und nicht zuletzt tiefe Dankbarkeit, dass wir die Chance hatten, den unglaublichen Facettenreichtum Südamerikas entdecken zu dürfen.
Ja, wir haben Dinge auf unserer Reise gesehen und erlebt, die wir nie für möglich gehalten hätten. Der Zufall hat uns immer wieder nahe zu den Menschen geführt und dabei sukzessive unsere Sicht auf unterschiedliche Lebens- und Denkweisen relativiert. Und wir haben einen Unterschied begriffen, den der englische Schriftsteller Chesterton wie folgt beschrieben hat:
Der Reisende sieht Dinge, die ihm unterwegs begegnen, der Tourist das, was er sich vorgenommen hat.
Bleibt die Hoffnung, dass wir eines Tages die Möglichkeit erhalten unser „Abenteuer Südamerika“ fortzusetzen, weiter auf Entdeckungsreise auf diesem wundervollen Kontinent zu gehen und dabei wieder Menschen zu begegnen, die mit uns den ein oder anderen Moment ihres Alltags, ihres Lebens teilen.
In diesem Sinne wünschen wir allen „Wegbegleitern“, die mit uns an dieser Stelle drei zauberhafte Länder kennengelernt haben, vor allem eines: gute Reise – durch das Leben und die Welt.
>> Was bisher geschah: Abenteuer 100 Tage Südamerika . Teil 10 . Perus landschaftlicher Reichtum